Orchideen im Rheingau. Die sind nicht teuer, sondern unbezahlbar, weil sie – wie so viele Tier- und Pflanzenarten – vom Aussterben bedroht sind. Thomas Burckard aus Geisenheim hat sich den heimischen Orchideen gewidmet, und arbeitet an einem Buch „Orchideen im Rheingau“. Freundlicherweise hat er uns für diese Webseiten seine Ausarbeitungen zur Verfügung gestellt.
Inhaltsverzeichnis (zum öffnen klicken)
Orchideen im Rheingau – Einleitung
von Thomas Burckard
Warum sind Orchideen so interessant ?
Bei der Pflanzenfamilie der Orchideen (Orchidaceae) handelt es sich um eine sehr junge Pflanzenfamilie, die ‚erst‘ seit etwa 15 Millionen Jahren auf der Erde existiert. Mit ungefähr 30.000 Arten ist sie gleichzeitig auch eine der größten Pflanzenfamilien. Ihre Mitglieder kommen mit Ausnahme der Antarktis auf allen Kontinenten dieser Welt vor. Dazu zählen sowohl die bekannten tropischen Orchideen, die viele von uns aus Blumengeschäften, Orchideenausstellungen oder von der Fensterbank kennen, als auch ganz kleine unscheinbare Pflänzchen, die am Rande des Polarkreises der ewigen Kälte trotzen. Bei allen diesen Arten – egal ob aus dem kühlen Norden oder aus dem Regenwald – ist der Blütenaufbau mit seinen Grundelementen immer gleich. Die Formen variieren, die Farben sind verschieden, aber der Grundaufbau ist überall derselbe:
Die Blüten sind in zwei spiegelbildliche Hälften geteilt (zweiseitig symmetrisch) und zwar in drei Kelchblätter (Sepalen) und drei Kronblätter (Petalen), wobei das mittlere Kronblatt Lippe genannt wird. Diese ist meist größer und auffälliger ausgebildet. Manchmal befindet sich am Grund der Blüte auch noch ein Sporn – ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal bei vielen Arten. Griffel und Narbe sind zu einem Säulchen verwachsen, an dem die beiden Pollenpakete (Pollinien) kleben. Diese werden dem Insekt bei der Bestäubung auf den Rücken geklebt. Darunter befindet sich die Narbe, die durch eine dünne Gewebeschicht von den Pollen abgetrennt ist, um Selbstbestäubung in der aufgeblühten Blüte zu vermeiden. Allerdings berühren sich Narbe und Pollinien bei manchen Orchideen in der verwelkenden Blüte. So kann es zur Selbstbefruchtung kommen, wenn die Pollen nicht von irgendeinem Insekt entführt wurden.
Eine weitere Gemeinsamkeit aller Orchideen sind die vielen Tricks, mit denen sie ökologische Nischen ausfüllen, also Lebensräume besiedeln, die von anderen, ‚bequemeren‘ Pflanzen gemieden werden. Ihre Fortpflanzungsmechanismen grenzen manchmal an unsere Vorstellungskraft, so raffiniert funktioniert die Arterhaltung. Ist die Befruchtung geglückt, produzieren sie tausende von staubfeinen Samenkörnen, die kilometerweit vom Wind mitgetragen werden, um irgendwo einen geeigneten Ort für die Keimung zu finden.
Schließlich bestechen alle Orchideen gemeinsam durch ihre ungeheure Variabilität. Dadurch, dass diese Pflanzenfamilie sich sozusagen noch in der Entwicklung befindet, gibt es immer wieder außergewöhnliche Formen, Varianten ein und derselben Art und immer wieder Bastarde (Hybriden) zwischen nah verwandten Arten. Das erschwert die Bestimmung außerordentlich. Von hundert Orchideen, die auf einer Wiese stehen, könnte man ohne Schwierigkeiten fünf bis zehn verschiedene Arten erkennen. Dabei sind es meist nur Varianten einer einzigen Art. Eine genaue Bestimmung kann man oft nur mit einer Analyse des Erbgutes vornehmen. Das ist für den Feldbotaniker manchmal sehr frustrierend, aber nicht zu ändern. So ist also jedes Exemplar ein Unikat – wahrlich ein wichtiger Grund, diese Pflanzen zu schützen!
Naturkundliche Grundlagen
Die erdgeschichtliche Entwicklung des Rheingaus ist sehr interessant und ihr haben wir nicht nur die einmalige Landschaft, sondern auch die ständig wechselnden Bodenarten zu verdanken. Dort, wo sich heute der Taunuskamm erstreckt, war vor ca 350 Millionen Jahren ein flaches Meer, in das von Süden kommende Flüsse ihre mitgeschwemmte Fracht abluden und das Meer nach und nach mit Sanden und Tonen auffüllten. Durch den steigenden Druck und Absinken des Meeresbodens wurden diese Sedimentschichten zusammengepresst und verändert. Es entstanden Schiefer, Sandsteine, Quarzite, Grauwacken und Porphyre. Später wurden diese kilometerdicken Sedimentschichten zu einem Gebirge aufgefaltet, das ungefähr so hoch war, wie heute die Alpen. Die Reste davon sind heute noch zu sehen: die harten Quarzitkuppen der Taunushöhen sind übrig geblieben.
Vor ca 30 Millionen Jahren brach von Süden her bei subtropischen Klimabedingungen ein ebenfalls flaches Meer in den heutigen Oberrheingraben ein und brandete an den Taunus. Durch das warme Klima herrschte ein reges Leben in diesem Meer. Die Gehäuse der dort lebenden Muscheln und Weichtiere sanken auf den Grund und setzten sich dort ab. Gleichzeitig senkte sich der Meeresboden, so dass die kalkhaltigen Schichten immer dicker wurden. Das Meer verflachte schließlich, bildete kleinere Brackwasserseen und trocknete schließlich ganz aus.
In der jüngsten Zeit grub sich der Rhein sein Bett, während das Land sich langsam wieder hob. In den weichen Kalkmergelschichten des Mainzer Beckens hatte er es relativ leicht, hier bildete sich ein weites Tal. Im unteren Rheingau musste er sich durch die Schiefer- und Grauwackeschichten graben. Dadurch entstand das eng eingeschnittene Tal zwischen Rüdesheim und Bonn.
In den Eiszeiten wurde der Rheingau zwar vom Eis verschont, in den kurzen, kalten Sommern konnte sich die Vegetationsdecke aber nur steppenartig entwickeln. In der Folge wurden Massen von feinen Bodenpartikeln durch den Wind über das Land transportiert. Diese lagerten sich in den Windschatten der Berge als Lößschicht, die teilweise bis zu 10 m dick ist, ab.
Alle diese geologischen Prozesse gaben dem Rheingau ihre heutige Form. Ihnen haben wir nicht nur die südexponierte Lage mit den unterschiedlichsten Bodenarten zu verdanken, sondern auch die Tatsache, dass der Rheingau mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von fast 9°C und einem mittleren jährlichen Niederschlag zwischen 500 und 600 mm eines der wärmsten und trockensten Gebiete Deutschlands ist.
Auf den Taunushöhen, die uns vor den kalten Nordwinden schützen und oft die Regenwolken abhalten, herrscht allerdings ein raueres Klima mit bis zu 1000 mm Niederschlag im Jahr und einer Durchschnittstemperatur von ca. 6°C.
Orchideenbiotope
Orchideen besiedeln die unterschiedlichsten Biotope. Gemeinsam ist aber allen, dass es sich um kleine Flächen handelt, die für den Menschen uninteressant sind und daher wenig oder nur in einer bestimmten Weise beeinflusst worden sind. Es sind Lebensräume, die für land- und forstwirtschaftliche Nutzung zu trocken, zu nass oder zu nährstoffarm sind. Diese Standorte werden von natürlicherweise durch gut angepasste Pflanzen besiedelt, zu denen auch die Orchideen gehören. Außerdem wird hier die natürliche Sukzession, das Aufkommen von Bäumen und Büschen behindert, die durch ihre Konkurrenzkraft und Beschattung ein Orchideenvorkommen verdrängen würden.
Diese Gebiete wurden früher nur sporadisch durch Beweidung von wandernden Schafherden genutzt, die solche Wiesen schonend pflegten und von starkem Bewuchs freihielten. Eine solche extensive Nutzung begünstigt die Lebensbedingungen von vielen Orchideen: durch die unregelmäßige aber selektive Beweidung bleiben konkurrenzstarke Gräser kurz und das schnelle Weitertreiben der Tiere sorgt für geringe Trittschäden. Andere Biotope blieben ungenutzt, weil sie unzugänglich oder zu schwer zu bearbeiten waren. Auch hier können sich Orchideen unter günstigen Bedingungen halten. Dazu zählen Moorwiesen oder bestimmte Waldbereiche, die für maschinelle Nutzung ungeeignet sind. Manche Orchideen besiedeln aber auch sogenannte Sekundärbiotope, beispielsweise Straßenränder.
Leider ist der ungestörte Standort nicht der einzige Faktor, den eine Orchidee braucht, um wachsen zu können. Zusätzlich muss die Pflanze auch noch die richtigen Bodenverhältnisse vorfinden. Da hat jede Art ihre eigenen Ansprüche: die meisten Orchideen bevorzugen einen basischen Boden und ein großer Teil davon benötigt einen mehr oder weniger hohen Kalkanteil. Gleichzeitig muss ein bestimmter – von Art zu Art verschiedener – Bodenpilz vorhanden sein, der zumindest die Keimung des Orchideensamens ermöglicht, da die Samen von Orchideen kein Nährgewebe enthalten und somit den Pilz als Nährstofflieferant brauchen. Einige Arten sind aber auch lebenslang von einem solchen Bodenpilz abhängig. Fehlt dieser, wächst keine Orchidee!
Treffen die Faktoren Kalkgehalt, Bodenpilz und ungestörtes Biotop zusammen, ist die Wahrscheinlichkeit, auf Orchideen zu stoßen, sehr hoch. Durch Umweltverschmutzung, Ausweisen von Baugebieten auf „nutzlosen“ Flächen, Freizeitnutzung, mangelnde Pflege und Zerstörung der richtigen Bodenbedingungen werden geeignete Standorte aber immer seltener. Erst in letzter Zeit beginnen Naturschutzverbände, Kommunen und Privatpersonen damit, Restflächen mit seltenen Pflanzen und Tieren zu schützen und zu pflegen, damit vorhandene Populationen erhalten werden können.
Gefahren
Wie schon im vorhergehenden Kapitel erwähnt, sind Orchideenbiotope sensible Bereiche, die auf jede Störung sofort mit Artenrückgang reagieren können. Um auch unseren Nachfahren noch heimische Orchideen zeigen zu können, ist jeder, der dieses Heft liest, dazu aufgerufen, bekannte Orchideenstandorte zu schützen. Was er im einzelnen tun kann, hängt natürlich sehr stark vom Fundort ab. Zunächst einmal ist es nicht falsch einen Naturschutzverband, der in der Nähe tätig ist, über die Orchideenfunde zu informieren. Hier können weitere Maßnahmen zum Schutz abgesprochen werden. Vielleicht wird die Fläche zum Naturschutzgebiet erklärt und es werden Pflegepläne erstellt, um die Standortfaktoren für die Orchideen zu optimieren.
Wichtig ist auch, dass man auf solchen Flächen nicht blindlings durch die Gegend rennt. Viele Orchideen sind außerhalb ihrer Blütezeit sehr unscheinbar und schon ein Fußtritt kann dazu führen, dass diese Pflanze eingeht. In Naturschutzgebieten ist es selbstverständlich, dass man nicht vom Weg abweicht. Daran sollte man sich auch halten, denn meistens sind die vorhandenen Wege so angelegt, dass alle interessanten Bereiche zu sehen sind.
Zu den größten Freveln gehört es, eine blühende Orchidee abzupflücken. Meistens hält sie den Transport zur nächsten Vase nicht durch und der Pflanze wurde die wichtige Möglichkeit genommen, sich zu vermehren.
Noch schlimmer ist das Ausgraben der ganzen Pflanze. Denn statt im Garten weiterzuwachsen, wird die Orchidee mit Sicherheit die nächste Blüteperiode nicht erleben. Gartenböden haben niemals die gleichen Standortbedingungen, wie das ursprüngliche Biotop. In der Regel ist er zu stark gedüngt, und der für die Pflanze notwendige Bodenpilz ist deshalb nicht vorhanden.
Am besten, man erfreut sich vor Ort an der Schönheit der Pflanze.
Orchideen im Rheingau – Artenliste
In diesem Teil werden nun die im Rheingau vorkommenden Orchideen in alphabetischer Reihenfolge des botanischen Namens in Wort vorgestellt, um dem Pflanzenliebhaber die Identifizierung zu erleichtern und um Laien einen Einblick in die Kostbarkeiten unserer Pflanzenwelt zu ermöglichen. Orchideen brauchen eine Lobby: je mehr Menschen davon etwas verstehen, desto größer ist die Chance ihrer Erhaltung.
Klicken Sie auf die Namen, um zu den Beschreibungen zu gelangen.
- Aceras anthropophorum (Puppenorchis, hängender Mensch)
- Anacamptis pyramidalis (Pyramidenorchis)
- Chephalanthera damasonium (bleiches Waldvögelein)
- Chephalanthera longifolia (schwertblättriges Waldvögelein)
- Chephalanthera rubra (rotes Waldvögelein)
- Cypripedium calceolus (Frauenschuh)
- Dactylorhiza maculata (geflecktes Knabenkraut)
- Dactylorhiza majalis (breitblättriges Knabenkraut)
- Epipactis atrorubens (braunrote Stendelwurz)
- Epipactis helleborine (breitblättrige Stendelwurz)
- Epipactis leptochila (spitzlippige Stendelwurz)
- Epipactis palustris (Sumpfwurz, weiße Stendelwurz)
- Epipactis purpurata (violette Stendelwurz)
- Gymnadenia conopsea (Mücken-Händelwurz)
- Himantoglossum hircinum (Bocksriemenzunge)
- Listera ovata (Großes Zweiblatt)
- Neottia nidus-avis ((Vogel-)Nestwurz)
- Ophrys apifera (Bienenragwurz)
- Ophrys insectifera (Fliegenragwurz)
- Orchis mascula (männliches Knabenkraut)
- Orchis militaris (Helmknabenkraut)
- Orchis morio (Salepknabenkraut, kleines Knabenkraut)
- Orchis purpurea (Purpurknabenkraut)
- Orchis ustulata (angebranntes Knabenkraut, Brandknabenkraut)
- Platanthera bifolia (weiße Waldhyazinthe) und Platanthera chlorantha (grünliche Waldhyazinthe)
Nachwort
Lieber Leser. Nun wurden alle mir bekannten Orchideenarten, die im Rheingau vorkommen, vorgestellt und ich wünsche mir, dass Sie sich von meiner Faszination für diese Pflanzenfamilie haben anstecken lassen.
Wenn Sie während Ihrer Spaziergänge, Wanderungen und Exkursionen auf Orchideenstandorte treffen, behandeln Sie diese seltenen Kleinode bitte gut. Ausgraben, Pflücken und Zertrampeln ist tabu. Fotografieren ist gestattet, wenn dabei das umgebende Biotop nicht beeinträchtigt wird. In Naturschutzgebieten ist das Verlassen der Wege nicht gestattet. Hier können Sie höchstens ein Teleobjektiv zur Hilfe nehmen.
Da ich noch lange nicht alle Orchideen im Rheingau kenne, und ich im Rahmen des AHO (Arbeitskreis Heimische Orchideen) beauftragt bin, alle im Rheingau vorkommenden Orchideen zu kartieren, würde ich mich freuen, wenn Sie mir Ihre Orchideenfunde schriftlich unter der genauen Angabe des Fundortes, des Datums und der Individuenzahl sowie Ihrer Adresse mitteilen würden. Diese Ergebnisse werden gesammelt und zu einer Gesamtkartierung aller deutschen Orchideenstandorte zusammengefasst und jährlich aktualisiert. Vielen Dank!
Anschrift des Verfassers:
Thomas Burckard
Danziger Straße 2
65366 Geisenheim
Tel: 06722-71800
Mail: t.burckard@naturschutzhaus-wiesbaden.de
Literaturverzeichnis:
AHO (Arbeitskreis Heimische Orchideen): Orchideen in Hessen
Reichenberger Verlag Typo-Knauer GmbH, Frankfurt, 1983
BARTHEL; Peter H.: Orchideen erkennen und schützen;
Kosmos-Naturführer; Franckh-Kosmos, Stuttgart
BAUMANN; H, KÜNKELE; : Die Orchideen Europas;
Kosmos-Naturführer; Franckh-Kosmos, Stuttgart
BLATT; H., GRUBE; A., SCHULZ; H.: Orchideen in Hessen;
1983 AHO-Hessen e.V. Hanau
ERZ; S., KROPF; M.: Die Bocksriemenzunge – eine charakteristische Orchideenart der Weinbergsbrachen im Nahegebiet in Ausbreitung;
Berichte Arbeitskreis Heimische Orchideen, Jahrgang 12, Heft 12, 1995
GROSSMANN; Horst: Flora vom Rheingau,
Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft
Gesellschaft zur Förderung der Rheingauer Heimatforschung 1976,Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt/Main
OBERDORFER; Erich; Pflanzensoziologische Exkursionsflora; 7. Auflage
Verlag Eugen Ulmer, 1994
PRESSER; Helmut: Die Orchideen Mitteleuropas und der Alpen;
1995, ecomed, Landsberg/Lech
SCHMEIL; Otto, FITSCHEN; Jost: Flora von Deutschland und seinen angrenzenden Gebieten;
Quelle und Meyer Verlag, Wiesbaden, 1988
SEUFERT; Karl Rolf: … ist ein feines Ländchen; 1983,
Arbeitskreis 1000 Jahre Rheingau, Eltville